Melanie von Groll: „Kultur ist immer stärker als jegliche Strategie.“

Bild: Vahlen Verlag

Globalisierung und Digitalisierung fördern und fordern die Zusammenarbeit von interkulturellen Teams. Bei der Führung von solchen Teams geht es nicht um fachliche Expertise, sondern um die Beziehungsebene der Führungskräfte zu ihren Teammitgliedern. Welche Vorgehensweisen und wissenschaftlichen Modelle es gibt, um ein Team von Menschen zu begeistern und an sich zu binden, die aufgrund ihrer kulturellen Prägung sehr unterschiedliche Arbeitsweisen und Erwartungen haben, zeigt Autorin und Personal- und Organisationsentwicklungsexpertin Melanie Groll in ihrem Buch „Connect, Trust, Care“ auf.

Warum sollte ich als Führungskraft etwas über interkulturelle Zusammenarbeit wissen? Bei mir kann jeder einfach so sein, wie er will.

Melanie von Groll: Eine offene Haltung ist toll. Sich als Mensch im Team gut zu verstehen, ist eine wichtige Basis. Es geht noch besser: Konkret zu wissen, worin die Unterschiede in der kulturellen Prägung liegen, kann ein Gamechanger in der Zusammenarbeit sein. Schauen wir uns ein Beispiel an. Negative Rückmeldungen zu einer Verhaltensweise oder einem Arbeitsergebnis werden in Kulturen mit einem direkten Kommunikationsstil – wie in Deutschland oder in den Niederlanden – offen und schnörkellos gegeben. Kritische Anmerkungen sind auch vor den Augen und Ohren einer Gruppe üblich, zum Beispiel im Rahmen eines Teammeetings.
Das ist völlig undenkbar in Kulturen mit einem indirekten Kommunikationsstil – wie in lateinamerikanischen oder asiatischen Kulturen. Hier könnte offen geäußerte Kritik die Harmonie und das Miteinander gefährden. Eine achtsame Rückmeldung unter vier Augen ist ratsam. Das sollte nicht nur Führungskräften, sondern auch allen Teammitgliedern bewusst sein, um konstruktiv miteinander arbeiten zu können.

Als Führungskraft geht es mir um das Erreichen strategischer Ziele. Die bestehen meistens aus Kennzahlen. Dafür braucht man keine interkulturelle Kompetenz, oder?

Melanie von Groll: Doch. Denn: Culture eats strategy for breakfast (Peter Drucker). Das bedeutet, dass mir als Führungskraft die interkulturellen Unterschiede in der Zusammenarbeit klar sein sollten. Kultur ist immer stärker als jegliche Strategie. Nur, wenn ich die Kultur miteinbeziehe, kann ich Strategien erfolgreich umsetzen. Nehmen wir das Beispiel Kommunikation. Stellen wir uns vor, in meinem Team arbeiten überwiegend Fachkräfte aus Japan. Ich halte eine Präsentation zu den anstehenden Herausforderungen und Zielsetzungen unseres Teams im nächsten Quartal, eröffne die Fragerunde und hoffe auf rege Beteiligung. Keine Reaktion. Schweigen. Haben sie keine Fragen, keine Anmerkungen? Doch. Aber meine Aufforderung in die Runde an alle, offene Fragen zu diskutieren, bleibt wirkungslos. Keiner wagt sich aus der Deckung.
Später lerne ich, dass ich anhand des Augenkontaktes – ob sie ihm standhalten, ihm ausweichen oder mich ebenfalls offen anschauen – ein Gefühl entwickeln kann, wen ich explizit zu einer Rückmeldung einlade und wen nicht. Dieses Wissen macht in der Praxis einen erheblichen Unterschied für die vertrauensvolle Zusammenarbeit. Ignoriere ich derartige Nuancen, verliere ich mein Team. Ohne mein Team, kann ich die gesetzten Ziele nicht erreichen.

Ordnung und Struktur geben meinem Team Orientierung. Da weiß jeder, woran er ist. Ein Meeting ohne klare Agenda ist doch Zeitverschwendung, oder?

Melanie von Groll: Nein – denn es kommt auf die Kulturen an. Zeitlich lineare Kulturen wie Deutschland oder die Schweiz schätzen durchgeplante Meetings – häufig mit im Vorfeld kommunizierter Agenda. Zeitfenster für bestimmte Themenblöcke sind grundsätzlich einzuhalten. Abweichungen werden nicht selten als Störung wahrgenommen und auf einen späteren Zeitpunkt vertagt. Fokus ist alles.
In zeitlich flexiblen Kulturen wie in Südeuropa oder Lateinamerika haben aktuelle Entwicklungen und Unerwartetes Vorrang. Hier werden Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an neue Gegebenheiten hoch geschätzt. Auch wenn man dafür die vorbereitete Agenda nicht einhalten kann. Wichtig: Beide Ansätze geschehen in bester Absicht! Hilfreich ist, sich im Team der unterschiedlichen Wertesysteme bewusst zu sein und sich auf eine gemeinsame Herangehensweise zu einigen.

Fazit: Die Autorin vereint in ihrem Werk drei wissenschaftliche Modelle aus interkulturellem Management, neurowissenschaftlicher Motivationsforschung und nachhaltiger Mitarbeiterführung zu einem praxisnahen Ansatz. Mit konkreten Beispielen und Handlungsempfehlungen vermittelt sie die erfolgreiche Umsetzung. Erstmals verknüpft sie die Modelle von Meyer, Rock und Hougaard.

Facts

Autor: Melanie von Groll

Verlag: Vahlen

Seiten: 173

ISBN: 978-3-8006-7526-5

Preis: 29,80 €

Mehr über die Autorin: https://www.vongroll.com/

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