Nicht einfach machen, sondern kritisch fragen: Wie die IK mit Change-Abwehr-Strategien umgehen kann
Endlich: IK-Bereiche werden zunehmend in großformatige Veränderungsprojekte verantwortlich eingebunden. Nicht selten musste ein langer Weg zurückgelegt werden, um aus der puren Berichterstatterrolle heraus zu gelangen und ein integraler Teil des Steuerungsteams zu werden.
Wobei festzuhalten ist, dass es durchaus komfortable Seiten hat, wenn man einfach nur die kommunikative Begleitmusik verantworten muss. Ist aber die IK (endlich) im Regieraum des großformatigen Change-Projekts angekommen, dann kann es passieren, dass die IK ran muss – und beispielsweise die Verantwortung für den großen „Leadership Workshop Change X“ (oder wie immer das heißt) übernehmen darf (bzw. muss).
Und jetzt: Change Time! Stellen wir uns ein global aufgestelltes Unternehmen der Prozessindustrie (Chemie, Pharma et al.) vor, das vor kurzem angesichts vielfältiger Herausforderungen ein großformatiges Transformationsprojekt aufgelegt hat. Und stellen wir uns vor, dass die „top 200“, also der Führungskreis aus allen Standorten und Niederlassungen weltweit, in Präsenz zusammengebracht werden, um dieses Projekt zu starten. Dieser Change sei alternativlos (sic!) und bedürfe der engagierten Unterstützung aller, so tönt es aus den Eröffnungsreden. Minutenlanger Applaus für den CEO, die Strategieverantwortliche sowie für die aus der IK stammende Workshop-Moderatorin. Und schon geht es in die Arbeitsgruppen, die konkrete Maßnahmen zur Umsetzung erarbeiten sollen. Läuft doch super, oder?
Wer den Gesprächen während der anschließenden Kaffeepause lauscht, hört andere Töne. Lebhafte Erinnerungen an die letzten drei großen Veränderungsprojekte, die allesamt auf halber Strecke versandeten, machen die Runde. Wer so etwas schon erlebt hat, ahnt: Jetzt kommt die Zeit der Veränderungs-Veteranen. Deren großes Ziel besteht darin, ohne größere Konsequenzen zu erreichen, dass sich nichts wirklich ändert. Und dass man ohne Zusatzarbeit aus der Nummer rauskommt. Hier drei Auszüge aus dem bislang ungeschriebenen Leitfaden „How to manage Change without any Change“:
1. Sei zu Beginn ein bisschen offen und beobachte, wie der Hase läuft.
Profis wissen, dass Veränderungs-Workshops einer Dramaturgie folgen. Meistens soll zu Beginn durch eine offene Frage die persönliche Einschätzung zur aktuellen Lage ermittelt werden. Dann ist es schlau, durchaus selbstkritisch (aber nicht zu sehr) ein paar mittelrelevante Probleme anzusprechen. Die Diskussionsbeiträge der anderen, die sich entwickelnden Tendenzen (die in aller Regel nicht zufällig entstehen) sowie die Tagessätze der involvierten Change-Berater*innen erlauben bereits erste Einschätzungen darüber, wie ernst die Veränderung tatsächlich gemeint ist. Sobald sich beispielsweise andeutet, dass die höchste Hierarchieebene, die das Vorhaben vertritt, in Wirklichkeit gar nicht wirklich etwas ändern will – oder wenn, dann nur bei allen anderen, aber nicht bei sich selbst –, lässt sich vortrefflich und ohne Sorge vor echten Konsequenzen weiter diskutieren. Wäre nicht das erste Mal…
2. Beobachte sehr genau die Reaktionen der anwesenden Hierarchen auf Diskussionsbeiträge und -verlauf.
Gerade nonverbal, etwa anhand von Gesten, Blickverhalten oder Anzeichen für Ablenkung lässt sich ermitteln, wie ernst das alles gemeint ist. Beispiele: Während einer emotional aufgeladenen Diskussion zückt der anwesende Vorstand das Smartphone und beginnt offensichtlich, seine Korrespondenz zu bearbeiten; oder er verlässt den Raum in einem Moment, in dem es wirklich um etwas geht; er schüttelt den Kopf, als eine Workshop-Teilnehmerin einen engagierten Vorschlag unterbreitet; zum Workshop-Ausklang schwenkt er über zur Ergebnis-Verhinderungs-Strategie, wirkt also darauf hin, dass nichts Konkretes beschlossen wird („… tolle Ergebnisse und ein großartiger Prozess, die es ganz einfach verdienen, sehr genau analysiert zu werden… “). Derlei zu beobachten hilft außerordentlich, um die eigene Change-Workshop-Bewältigungs-Strategie optimal auszurichten.
3. Insistiere an einem Punkt, der als noch nicht ausgeplant anerkannt ist, auf Präzision.
In praktisch keinem tiefgreifenden Veränderungsprojekt ist das Vorgehen bis ins Detail planbar. Daraus resultieren lohnende Ansatzpunkte für Kritik. Eine Position könnte etwa so aussehen: „Ich finde es außerordentlich wichtig, dass wir dieses Projekt als Einstieg in die Zukunft angehen. Gerade deshalb ist es erforderlich, dass wir sehr genau die Folgen unserer Maßnahmen durchdenken, denn das sind wir unseren Mitarbeitern, Anteilseignern und erst recht unseren Kunden schuldig.“ Wer seine Position derart entwaffnend einleitet und dabei anerkannt wichtige Stakeholder als Kronzeugen aufruft (unabhängig davon, ob das überhaupt plausibel ist), hat schon gewonnen – nämlich Zeit. Auch wenn im Grunde gar keine echte Position eingenommen wird, lässt sich mit diesem Manöver die Veränderung erfolgreich aufhalten und Arbeitsaufwand zurückdelegieren.
Wobei die Trickkiste noch viel mehr Munition enthält. So wissen Workshop-Profis sehr genau, wann es Zeit ist, (scheinbar) selbstkritische Phrasen auf Moderationskärtchen zu schreiben oder in Bekennerattitüde Stellung zu beziehen. Oder die Zeit für ein wohlfeiles Bekenner-Statement in Richtung fundamentalem Change gekommen ist („… hier müssen wir grundlegend weiterkommen …“).
Kritisch fragen statt einfach machen
Das klingt zynisch – aber dafür gibt es traurige Gründe. Geplagt von immer wieder neuen Veränderungsansätzen mit immer wieder neuen, groß angelegten Change-Konzepten mussten sich die Workshop-erfahrenen Führungskräfte eine ziemlich dicke Hornhaut aneignen – zum Selbstschutz. Viel zu oft nämlich wurden die Change-Projekte mit großem Orchester gestartet, nur um irgendwann (spätestens nach dem nächsten CEO-Wechsel) sang- und klanglos auszuplätschern. So ist in vielen Organisationen aus Veränderungsmüdigkeit längst Erschöpfung geworden. Change-erfahrene Führungskräfte mussten lernen, vor einem echten Engagement sehr genau hinzuschauen, um herauszufinden: Wie ernst ist das Veränderungsvorhaben (diesmal) gemeint? War der Geschäftsführer womöglich im falschen Moment auf dem falschen Seminar? Hat das falsche Buch gelesen oder ist auf den nächsten eloquenten Berater hereingefallen, so, wie schon diverse Male vorher?
Deshalb empfehle ich, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Anstatt voreilig oder gar beeilt den Auftrag zur Workshop-Gestaltung unhinterfragt anzunehmen, nur um dann ein großes Paket Veränderungsfrust bewältigen zu müssen, sollten wir auf konstruktive Art und dennoch kritisch das Change-Projekt als solches hinterfragen. Für die Workshop-verantwortlichen IK-Bereiche lautet daher die dringende Empfehlung, VOR dem Start des gesamten Change-Vorhabens ihrem CEO unbedingt diese Frage zu stellen: „Woran können die zu involvierenden Führungskräfte feststellen, dass dieses Vorhaben wirklich ernst gemeint ist und durchgehalten wird?“ Eine IK, die diese Frage stellt, agiert auf Augenhöhe. Und zeigt, dass sie zu unterscheiden weiß zwischen Konzeptidylle und echtem Change.